ONKOGENE MET-ALTERATIONEN BEIM NICHT-KLEINZELLIGEN LUNGENKREBS

2.  ÜBERSICHT DER MOLEKULAREN TREIBER BEIM NSCLC

Die im Folgenden näher beschriebenen molekularen Treiber haben im Wesentlichen einen gemeinsamen Pathomechanismus, der zu Zellüberleben und unkontrollierter Proliferation führt: Die genetischen Veränderungen betreffen transmembrane oder intrazelluläre (Rezeptor-)Tyrosinkinasen (TK) oder Guanosin-Triphosphatasen (GTPasen) und führen zu deren konstitutiver und Liganden-unabhängiger Aktivierung. Daraus resultiert eine entsprechende Aktivierung der beteiligten Signalwege. Die zielgerichteten Therapien unterbinden die dysregulierte Signalübertragung, indem TK-Inhibitoren (TKI) bzw. GTPase-Inhibitoren an die betroffenen Proteine binden und diese inaktivieren.

2.1  WICHTIGE MOLEKULARE TREIBER MIT ZUGELASSENEN ZIELGERICHTETEN THERAPIEN

Aktivierende EGFR-Mutationen zählen zu den häufigsten molekularen Treibern, für die zielgerichtete Therapien zugelassen sind. So wurden nach einer Auswertung des deutschen CRISP-Registers, die 3.717 Patient*innen mit fortgeschrittenem NSCLC einschloss, bei 11 % aller nicht-plattenepithelialen Karzinome EGFR-Mutationen nachgewiesen (Hinweis: Nicht alle Patient*innen wurden entsprechend getestet) [Griesinger et al. 2021]. Andere Quellen geben eine Prävalenz von 11 – 19 % an [Barlesi et al. 2016, Hong et al. 2021, Kris et al. 2014]. Typische EGFR-Mutationen sind die Exon-19-Deletion und die L858R-Missense-Mutation, darüber hinaus gibt es aber auch Insertionen, weitere Punktmutationen und komplexe Mutationen [Cheng et al. 2012]. Insbesondere Exon-20-Insertionen werden aktuell in zahlreichen Studien adressiert. Für die Behandlung des NSCLC mit aktivierenden EGFR-Mutationen sind die TKI Afatinib, Dacomitinib, Erlotinib, Gefitinib und Osimertinib zugelassen [Rote Liste 2021]. Jedoch sind nicht alle Alterationen durch alle TKI gleichermaßen adressierbar. Im Dezember 2021 wurde zudem der bispezifische Antikörper Amivantamab zur Therapie des NSCLC mit aktivierender EGFR-Exon-20-Insertion nach Versagen einer Platin-basierten Chemotherapie zugelassen. Amivantamab bindet an die extrazellulären Domänen der Rezeptoren EGFR und MET.

Alterationen des ALK-Gens treten beim NSCLC mit einer Häufigkeit von etwa 4 – 5 % auf [Barlesi et al. 2016, Griesinger et al. 2021, Hong et al. 2021, Skoulidis und Heymach 2019]. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Translokationen, die zur Bildung des EML4-ALK-Fusionsproteins führen [Shaw und Solomon 2011]. Die TKI Alectinib, Brigatinib, Ceritinib, Crizotinib und Lorlatinib sind jeweils zur Erstlinientherapie des ALK-positiven NSCLC zugelassen [Rote Liste 2021].

BRAF-Mutationen sind bei etwa 2 – 3 % der Patient*innen mit fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC nachweisbar [Barlesi et al. 2016, Griesinger et al. 2021, Hong et al. 2021, Kris et al. 2014]. Therapeutisch relevant ist die V600-Punktmutation, für die eine zielgerichtete Therapie bestehend aus einer Kombination des BRAF-Inhibitors Dabrafenib und des MEK-Inhibitors Trametinib zugelassen ist [Rote Liste 2021].

Veränderungen des ROS1-Gens sind mit einer niedrigen Prävalenz von 1 – 2 % verbunden [Griesinger et al. 2021, Hong et al. 2021, Skoulidis und Heymach 2019]. Typischerweise handelt es sich dabei um Translokationen, die zu einer Vielzahl unterschiedlicher Fusionspartner führen. Da die ROS1- und ALK-Proteine im Bereich der ATP-Bindungsstelle eine Sequenzhomologie von 80 % aufweisen [Rossi et al. 2017], ist der dort angreifende ALK-Inhibitor Crizotinib auch zur Behandlung des NSCLC mit ROS1-Translokation zugelassen. Darüber hinaus kann der TKI Entrectinib zur Erstlinientherapie eingesetzt werden [Rote Liste 2021].

NTRK- und RET-Alterationen treten beim NSCLC mit einer sehr geringen Frequenz von bis zu 1 % auf [Griesinger et al. 2021, Hong et al. 2021, Russo et al. 2020]. In beiden Fällen stehen Translokationen im Vordergrund, die zahlreiche unterschiedliche Fusionsproteine hervorbringen können [Farago und Azzoli 2017]. Entrectinib und Larotrectinib sind zur Erstlinientherapie solider Tumore mit NTRK-Translokation zugelassen. Zur Erstlinienbehandlung des NSCLC mit RET-Translokation steht seit Ende 2021 Pralsetinib zur Verfügung. Darüber hinaus kann Selpercatinib zur Zweitlinientherapie nach Chemotherapie und/oder Immuntherapie eingesetzt werden [Rote Liste 2021].

KRAS-Mutationen zählen neben EGFR-Mutationen zu den häufigsten molekularen Treibern und können seit kurzem z. T. ebenfalls mit einer zielgerichteten Therapie adressiert werden. Bei 17,3 % aller nichtplattenepithelialen Karzinome des CRISP-Registers wurden KRAS-Mutationen nachgewiesen [Griesinger et al. 2021], andere Quellen geben sogar Häufigkeiten von 25 – 30 % beim metastasierten Adenokarzinom an [Kris et al. 2014, Skoulidis und Heymach 2019]. In westlichen Populationen macht die KRASG12C-Mutation etwa 40 – 50 % aller Mutationen dieses Gens aus [Burns et al. 2020]. Gegen diese Zielstruktur richtet sich auch der GTPase-Inhibitor Sotorasib, der im Januar 2022 eine bedingte Zulassung zur Behandlung erwachsener Patienten mit KRASG12C-positivem NSCLC und mindestens einer vorhergehenden systemischen Therapie erhielt.

2.2 
WICHTIGE MOLEKULARE TREIBER MIT BEANTRAGTER ZULASSUNG UND IN DER KLINISCHEN ENTWICKLUNG

Die wichtigsten MET-Alterationen, METex14-Mutationen und MET-Amp, sind bei etwa 3 % bzw. bis zu 5 % der Patient*innen mit NSCLC ohne einen anderen bekannten onkogenen Treiber nachweisbar [Frampton et al. 2015, Guo et al. 2020, Vuong et al. 2018]. MET-Alterationen sind Gegenstand dieser CME-Fortbildung und werden in den folgenden Kapiteln ausführlich beleuchtet. Dazu gehört auch eine Darstellung der Therapieoptionen (Kapitel 6) inklusive der zwei TKI, für die das Prüfverfahren der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) bereits läuft bzw. kürzlich mit der Zulassung abgeschlossen wurde.

Schließlich sind auch Veränderungen des ERBB2/HER2-Gens zu nennen, die mit einer Häufigkeit von 1 – 3 % identifiziert werden [Barlesi et al. 2016, Hong et al. 2021, Kris et al. 2014]. In 80 – 90 % der Fälle handelt es sich um Insertionen in Exon 20 [Zhao und Xia 2020]. Sowohl TKI als auch Antikörper und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate werden zurzeit in klinischen Studien erprobt. Eine vielversprechende klinische Aktivität zeigten z. B. die Antikörper-Wirkstoff-Konjugate Trastuzumab-Deruxtecan (T-DXd) und Trastuzumab-Emtansin in Phase-II-Studien, wobei sich Vorteile hinsichtlich der Wirksamkeit für T-DXd andeuteten [Li et al. 2018, Li et al. 2021].