PATIENT*INNENORIENTIERTE
KOMMUNIKATION IN DER ONKOLOGIE

5 KOMMUNIKATIONSSTRATEGIEN

Den/die Patient*in in seiner/ihrer aktuellen physischen und emotionalen Verfassung wahrzunehmen, die persönlichen Werte, Bedürfnisse und Präferenzen zu berücksichtigen und Selbstkompetenz, Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit zu fördern, sind die Kernelemente einer patient*innenzentrierten Kommunikation [Leitlinienprogramm Onkologie 2014]. Bevor verschiedene Gesprächsmodelle für spezifische Situationen vorgestellt werden, sollen zunächst die in der S3-Leitlinie „Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten“ (www.awmf.org) aufgeführten allgemeinen Grundprinzipien für ein entsprechendes kommunikatives Verhalten zusammengefasst werden. Die Leitlinie thematisiert psychologische und soziale Aspekte, die mit einer Krebserkrankung einhergehen können, und dient als Basis für eine flächendeckende und sektorenübergreifende Versorgung von Krebspatient*innen mit psychoonkologischen Angeboten. Eine der zentralen Aufgaben dabei ist die patient*innenorientierte Information und Gesprächsführung. Letzteres berücksichtigt Aspekte wie den Gesprächsrahmen, die Haltung gegenüber dem/der Patient*in, die Sprache und die Gesprächsinhalte. So sollte gewährleistet werden, dass Gespräche in einer atmosphärisch angemessenen Umgebung und vor allem ohne Störungen und Unterbrechungen geführt werden können. Falls von dem/der Patient*in gewünscht, sollten Angehörige oder Bezugspersonen mit in das Gespräch einbezogen werden. Ziel ist es, eine vertrauensvolle und tragfähige Beziehung zwischen Ärzt*in und Patient*in aufzubauen. Sogenanntes „aktives Zuhören“ sollte die Basis der Gesprächsführung darstellen und der/die Patient*in sollte sowohl ermutigt werden Fragen zu stellen als auch Gefühle auszudrücken. Schwierige Themen sollten direkt und einfühlsam angesprochen werden. Zur Vermittlung relevanter Informationen sollte eine patient*innennahe Sprache verwendet und auf medizinische Fachbegriffe verzichtet werden. Wiederholungen, Zusammenfassungen und anschauliche Darstellungen/Grafiken können helfen, das Verständnis zu verbessern. Abschließend sollten dem/der Patient*in auch weiterführende Hilfen angeboten werden [Leitlinienprogramm Onkologie 2014]. Die Leitlinie empfiehlt auch, dass Beschäftigte im Bereich der Onkologie das Angebot an qualifizierten Fortbildungen wahrnehmen sollten, um die Kommunikation im Klinik- und Praxisalltag zu verbessern [Leitlinienprogramm Onkologie 2014]. Beispielsweise ist KOMPASS (Kommunikative Kompetenz zur Verbesserung der Arzt-Patient-Beziehung) ein erprobtes Trainingsprogramm, das von einer Arbeitsgruppe aus mehreren Zentren entwickelt wurde und dessen Effektivität mit einer Begleitstudie wissenschaftlich untersucht wird (www.kompass-o.org/).

5.1 DAS SPIKES-MODELL

Im Fachbereich der Onkologie ist es immer wieder erforderlich „schlechte Nachrichten“ zu überbringen, sei es eine Erstdiagnose, das Auftreten eines Rezidivs oder der Übergang zu einer palliativen Therapie. Jedoch ist Folgendes zu beherzigen: „Die Überbringer ‚schlechter Nachrichten‘ sind nicht verantwortlich dafür, was sie zu übermitteln haben, aber dafür, wie sie es tun“ [Leitlinienprogramm Onkologie 2014]. Um auch bei schwierigen Gesprächen kommunikative Kompetenz zu wahren und den Bedürfnissen und Anforderungen der Patient*innen gerecht zu werden, wurde das sogenannte SPIKES-Modell entwickelt [Baile et al. 2000]. In sechs Schritten werden dabei die Grundprinzipien der patient*innenorientierten Kommunikation aufgegriffen und zum Teil erweitert [Baile et al. 2000]:

• Setting
Schaffung eines angemessenen Gesprächsrahmens. Es sollte für Privatsphäre und Ungestörtheit gesorgt und das Gespräch im Sitzen, möglichst ohne Barrieren zwischen den Gesprächsteilnehmer*innen, geführt werden. Um eine Verbindung zu dem/der Patient*in herzustellen, sollte Augenkontakt gehalten werden.

• Perception
Mit offenen Fragen sollte herausgefunden werden, wie der/die Patient*in seine/ihre medizinische Situation wahrnimmt. Mögliche Fragen sind z. B.: „Was wurde Ihnen bisher über Ihre medizinische Situation gesagt?“ oder „Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe, warum das MRT gemacht wurde?“.

• Knowledge
Die eigentliche Vermittlung der Information. Zunächst sollte der/die Patient*in darauf vorbereitet werden, dass schlechte Nachrichten folgen. Weiterhin sind stets die Vorkenntnisse und das Vokabular des/der Patient*in zu berücksichtigen. Die Informationen sollten Schritt für Schritt weitergegeben und zwischendurch das Verständnis des/der Patient*in geprüft werden.

• Emotions
Durch eine empathische Reaktion auf die Emotionen des/der Patient*in soll Unterstützung und Solidarität vermittelt werden. Mit der weiteren Besprechung sollte gewartet werden, bis die Emotionen vorüber sind.

• Strategy und Summary
Die Planung des weiteren Vorgehens und Zusammenfassung. Dabei sollte das Gespräch auch auf Missverständnisse geprüft und die Hoffnungen des/ der Patient*in mit realistischen Zielen in Einklang gebracht werden.

Um zu überprüfen, ob das SPIKES-Modell tatsächlich auch den Erwartungen von Patient*innen an ein Gespräch zur Überbringung schlechter Nachrichten entspricht, wurde ein Patient*innen-Fragebogen, die sogenannte Marburg Breaking Bad News (MABBAN) Scale entwickelt. Eine Studie mit 336 Krebspatient*innen, welche die MABBAN-Skala beantworteten, zeigte eine Übereinstimmung der Patient*innen-Präferenzen mit den sechs Komponenten des SPIKES-Modells. Abhängig von demografischen und klinischen Eigenschaften wurden jedoch unterschiedliche Komponenten als besonders wichtig eingestuft. Daraus lässt sich schließen, dass eine Kommunikation auf Grundlage des Modells sinnvoll ist, trotzdem aber eine individuelle Anpassung erforderlich ist [von Blanckenburg et al. 2020].

5.2 DAS NURSE-MODELL

Gespräche mit onkologischen Patient*innen können mit vielen unterschiedlichen Emotionen bei den Betroffenen verbunden sein, auf die der/die Ärzt*in reagieren muss. Das sogenannte NURSE-Modell (www.aekno.de) kann speziell für den Umgang mit Emotionen hilf- reich sein und setzt sich aus fünf Schritten zusammen [Ärztekammer Nordrhein]:

• Naming
Die Emotion benennen (falls der/die Patient*in das Gefühl nicht bereits selbst benannt hat). Beispiel: „Man kann heraushören, dass es eine Situation ist, die Sie so nicht kennen und die Sie belastet.“ „Sie haben die Sorge, als nicht belastbar zu gelten.“

• Understanding
Verständnis für die Emotion zeigen. Beispiel: „Das ist eine verständliche Reaktion, die auch viele andere Betroffene zeigen.“ „Das nimmt Sie gerade mit.“

• Respecting
Respekt oder Anerkennung ausdrücken, z. B. für die unternommenen Anstrengungen mit einer bestimmten Belastung umzugehen. Beispiel: „X Jahre mit der Erkrankung umzugehen, das ist eine beachtliche Leistung.“ „Sie haben gerade ins- gesamt auch viel zu tragen.“

• Supporting
Unterstützung anbieten. Beispiel: „Wäre es denkbar für Sie, die Situation so oder so zu lösen?“

• Exploring
Weitere Hintergründe zur Emotion ermitteln bzw. nicht eindeutige oder fehlende Emotionen ergründen. Beispiel: „Gibt es noch andere Dinge, die Ihnen gerade Sorgen bereiten?“

5.3 PARTIZIPATIVE ENTSCHEIDUNGSFINDUNG

Ein wichtiger Bestandteil der patient*innenorientierten Kommunikation ist die partizipative Entscheidungsfindung (PEF), bei der Ärzt*in und Patient*in eine gemeinsam verantwortete Entscheidung über das weitere Vorgehen treffen. Der Prozess der PEF lässt sich in drei Phasen gliedern: In der Anfangsphase, die auch als Team Talk bezeichnet wird, wird dem/der Patient*in zunächst mitgeteilt, dass eine Entscheidung getroffen werden muss. Zudem wird über die Gleichwertigkeit der vorgestellten Optionen und Gesprächspartner*innen informiert. In der Informationsphase, dem Option Talk, wird zum einen die Evidenz für Nutzen und Risiken der Behandlungsoptionen dargelegt und zum anderen werden die Erwartungen und Befürchtungen des/der Patient*in besprochen. In der abschließenden Entscheidungsphase, dem Decision Talk, wird zunächst erfragt, wie stark sich der/die Patient*in an der Entscheidungsfindung beteiligen möchte. Anschließend wird unter entsprechender Berücksichtigung der Patient*innenpräferenz und der ärztlichen Empfehlung eine Entscheidung getroffen. Darüber hinaus wird vereinbart, was zur Umsetzung dieser Entscheidung erforderlich ist. Die Anwendung der PEF im Praxisalltag kann für Ungeübte herausfordernd sein, jedoch bieten spezielle Kommunikationstrainings für Ärzt*innen sowie medizinische Entscheidungshilfen für Patient*innen gute Unterstützungsmöglichkeiten. Grundlage ist jedoch vor allem eine vertrauensvolle und partnerschaftliche Atmosphäre zwischen den Beteiligten [Bieber et al. 2016].