PATIENT*INNENORIENTIERTE
KOMMUNIKATION IN DER ONKOLOGIE

4 TYPISIERUNG VON PATIENT*INNEN

Personalisierte Medizin ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus von Forschung und Klinik gerückt, insbesondere im Bereich der Onkologie. Hierbei wird in der Regel an eine medikamentöse Behandlung gedacht. Beispielsweise haben zielgerichtete Therapien bedeutende Verbesserungen der klinischen Ergebnisse onkologischer Patient*innen möglich gemacht. Doch auch auf der Ebene unterstützender Maßnahmen und Programme ist eine personalisierte Medizin erforderlich, d. h. Interventionen, die auf die Bedürfnisse und Wünsche der Patient*innen abgestimmt sind und somit bessere Erfolge erzielen. Hierfür ist eine Unterscheidung verschiedener Patient*innentypen notwendig, die ebendiese Bedürfnisse berücksichtigt. Aktuell wird jedoch häufig nur nach Art der Erkrankung und ggf. Krankheitsstadium differenziert [Bloem et al. 2020].

Die Segmentierung stellt eine allgemeine Methode zur Einteilung von Personen und entsprechender Zuordnung von bestimmten Eigenschaften des Bedarfs und der Versorgung dar, die vor allem im Bereich der Wirtschaft und des Marketings Anwendung findet [Bloem et al. 2020]. Bloem und Stalpers entwickelten auf Grundlage eines theoretischen Konzepts zum gesundheitsbezogenen Verhalten ein Segmentierungsmodell für Patient*innen, das unabhängig von der Erkrankung angewendet werden kann. Dabei werden basierend auf den Eigenschaften einer hohen bzw. niedrigen Akzeptanz der Erkrankung bzw. des Gesundheitszustands und einer hohen bzw. niedrigen Kontrolle über die persönliche gesundheitliche Situation vier Typen unterschieden (Abbildung 2) [Bloem und Stalpers 2012, Bloem et al. 2020]. Die Akzeptanz bezeichnet dabei das Gefühl einer Person, dass der Gesundheitszustand inkl. möglicher funktioneller Einschränkungen hinnehmbar ist. Die Kontrolle beschreibt wiederum die Überzeugung einer Person, dass der eigene Gesundheitszustand von ihr selbst oder von anderen beeinflusst oder kontrolliert werden kann [Bloem und Stalpers 2012]. Akzeptanz und Kontrolle gelten als die wichtigsten psychologischen Determinanten der subjektiv erlebten Gesundheit, welche wiederum das gesundheitsbezogene Verhalten bestimmt und damit auch für den Umgang mit einer Erkrankung maßgeblich ist [Bloem und Stalpers 2012]. Im Folgenden werden die vier Patient*innentypen hinsichtlich ihrer sozio-ökonomischen und sozio-demografischen Eigenschaften sowie ihrer Bedürfnisse und Unterstützungsmöglichkeiten näher beschrieben.

Segment I: hohes Maß an Akzeptanz und Kontrolle
Die Patient*innen zeichnen sich durch ein großes Selbstvertrauen und Verantwortlichkeitsgefühl aus – sie sind involviert und aktiv und nehmen ihr Leben selbst in die Hand. Dieser Typ hat ein Bedürfnis nach (personalisierter) Information. Dementsprechend ist die Bereitstellung qualitativ hochwertiger Informationen sowie eine Bestärkung des gesundheitsbezogenen Verhaltens („Du machst das sehr gut“) als Unterstützungsmaßnahme geeignet. Familie und Freund*innen können unterstützend hinzugezogen werden. Personen in Segment I sind überwiegend männlich, jung und haben ein hohes Bildungsniveau sowie einen hohen Sozialstatus. Weitere Charakteristika sind ein hoher Anteil an Wohneigentümer*innen und ein hohes jährliches Einkommen. Sie sind in der Regel nicht religiös und haben einen gering ausgeprägten Glauben [Bloem und Stalpers 2012, Bloem et al. 2020].

Segment II: hohes Maß an Akzeptanz und geringes Maß an Kontrolle
Personen, die diesem Segment zugeordnet werden, haben prinzipiell den Willen zum Umgang mit der Erkrankung, es fehlt ihnen aber die Fähigkeit und Übersicht zur Umsetzung. Daher besteht ein Bedarf an Planung und Struktur, sodass zur Unterstützung am besten praktische Hilfe, z. B. anhand von Erklärungen zu Therapieabläufen, Therapie-kalendern oder Tagebüchern, geeignet ist. Darüber hinaus sollte das Vertrauen gestärkt werden, selbst Kontrolle über die eigene Gesundheit ausüben zu können. In Segment II finden sich vermehrt weibliche und ältere Personen, Menschen mit einem hohen Sozialstatus und hohem jährlichem Einkommen sowie ein hoher Anteil an Wohneigentümer*innen. Sie leben eher im ländlichen Raum, sind religiös und haben einen stark ausgeprägten Glauben [Bloem und Stalpers 2012, Bloem et al. 2020].

Segment III: niedriges Maß an Akzeptanz und hohes Maß an Kontrolle
Diese Patient*innen betrachten die Krankheit als Feind und es fällt ihnen schwer, ihr Leben damit zu leben. In der Folge verschwenden sie Energie und leisten Widerstand, indem sie einen Schuldigen suchen, die Zeit zurückdrehen wollen und sich mit Fragen beschäftigen wie: „Warum ich?“, oder: „Was habe ich getan, dass mir das passiert?“ Das Grundbedürfnis dieses Typs ist emotionale Unterstützung, es gilt daher Ruhe und Zuspruch zu vermitteln („Es ist zu schaffen.“ „Sie schaffen das auch.“). Auch der Austausch mit anderen Betroffenen, familiärer Halt und der Kontakt zu Sozialarbeiter*innen oder Psycholog*innen kann die erforderliche Hilfe bieten. Personen in diesem Segment sind typischerweise männlich und jung [Bloem und Stalpers 2012, Bloem et al. 2020].

Segment IV: niedriges Maß an Akzeptanz und Kontrolle
Personen in diesem Segment sind durch Passivität, Trägheit, Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit charakterisiert. Es besteht das Bedürfnis nach persönlicher Führung und echter Betreuung. Die wichtigste Unterstützung ist daher die persönliche Beratung, bei der die Menschen an die Hand genommen, Perspektiven aufgezeigt und erreichbare Ziele gesetzt werden. Der Nutzen von Unterstützungsprogrammen könnte durch Einbeziehung des sozialen Umfelds erhöht werden, wohingegen reine Informationsvermittlung diese Patient*innen weniger erreicht und beeinflusst. In diesem Segment finden sich überwiegend weibliche Personen mit geringem Bildungsniveau, niedrigem Sozialstatus, stark ausgeprägtem Glauben sowie geringem jährlichem Einkommen und ein entsprechend geringer Anteil an Wohneigentümer*innen [Bloem und Stalpers 2012, Bloem et al. 2020].

Das Segmentierungsmodell kann für viele Aspekte der Gesundheitsversorgung hilfreich sein, beispielsweise ist es auch in Bezug auf die Therapietreue anwendbar. So postulieren Bloem und Stalpers einen Zusammenhang zwischen absichtlicher Nicht-Adhärenz, d. h. der bewussten Entscheidung sich nicht an das verabredete Behandlungsschema zu halten, und dem Maß der Akzeptanz. Eine hohe Akzeptanz ist demnach mit einer geringen absichtlichen Nicht-Adhärenz verbunden, da die Krankheit von den Patient*innen als Teil ihres täglichen Lebens anerkannt wird (Segment I + II). Betroffene mit einer geringen Akzeptanz sind eher nicht adhärent, da sie die Erkrankung und damit die erforderliche Behandlung verdrängen (Segment III + IV). Weiterhin postulieren die Autoren einen Zusammenhang zwischen der Kontrolle und unabsichtlicher Nicht-Adhärenz. Demnach schreiben Personen mit einem geringen Maß an Kontrolle ihrem Verhalten keine Bedeutung bzw. keine Effekte in Bezug auf ihre Krankheit zu und neigen eher zu unabsichtlicher Nicht-Adhärenz (Segment II + IV) [Bloem und Stalpers 2012].

Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sowohl Akzeptanz als auch Kontrolle veränderliche Eigenschaften sind. Daher ist auch die Zuordnung von Personen zu einem Segment nicht fix, sondern kann sich über die Zeit verändern [Bloem und Stalpers 2012]. Die Typisierung und die damit verbundene Ermittlung von Bedürfnissen und Unterstützungsmöglichkeiten sollte daher regelmäßig überprüft werden. Dazu wird ein Fragebogen mit je drei Aussagen zu den Bereichen Akzeptanz und Kontrolle eingesetzt, die auf einer Skala von 1 – 7 (trifft überhaupt nicht zu – trifft voll und ganz zu) bewertet werden (s. Kasten). Für die Auswertung wird der Mittelwert der Antworten zur Akzeptanz sowie der Mittelwert der Antworten zur Kontrolle berechnet. Ab einem Cut-off-Wert von > 4,96 erfolgt die Zuordnung zu Segmenten mit hoher Akzeptanz und ab einem Wert von > 5,36 zu Segmenten mit hoher Kontrolle [Bloem et al. 2020].

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass mithilfe des Segmentierungsmodells bestehende Unterstützungsprogramme und Maßnahmen den unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Patient*innentypen zugeordnet und neue Programme entsprechend den Bedürfnissen entwickelt werden können. Dabei gilt, je besser die Bedürfnisse der unterschiedlichen Typen adressiert werden, desto besser sind die Erfolgsaussichten.