PATIENT*INNENORIENTIERTE
KOMMUNIKATION IN DER ONKOLOGIE

HERAUSFORDERUNG THERAPIETREUE

Die Therapietreue ist eine wesentliche Voraussetzung für den Therapieerfolg und stellt auch im Rahmen der onkologischen Behandlung eine bedeutende Herausforderung in der Medizin dar. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte hierbei zwischen der Compliance und der Adhärenz unterschieden werden. Während die Compliance das Verhalten eines/einer Patient*in in Übereinstimmung mit den Anweisungen des/der Behandelnden beschreibt, definiert die WHO die Adhärenz als Verhalten in Übereinstimmung mit gemeinsam von Ärzt*in und Patient*in aufgestellten Empfehlungen [WHO 2003]. Allerdings wird in der deutschsprachigen Literatur diese Unterscheidung nicht immer konsequent eingehalten. Die Adhärenz bezieht sich darüber hinaus insbesondere auf den Zeitpunkt, die Dosierung und die Häufigkeit der Anwendung. Die Zeit von der Initiierung bis zum Abbruch einer Therapie wird bei differenzierter Betrachtung wiederum als Persistenz bezeichnet [Cramer et al. 2008].

Für die Messung der Adhärenz hat sich derzeit noch kein Goldstandard-Verfahren etabliert. Eine Übersicht zu den vorhandenen unterschiedlichen Messmethoden mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen liefert Tabelle 1. Danach lässt sich zusammenfassen, dass eine direkte, objektive Messung der Adhärenz im Praxisalltag kaum möglich ist. Jedoch korreliert als indirekte Methode der Patient*innenbericht laut einem systematischen Review gut mit objektiven Methoden, sodass er zur Adhärenzbestimmung im Praxisalltag herangezogen werden kann [Atkinson et al. 2016].

Insbesondere bei Langzeittherapien kommt der Therapietreue eine zentrale Bedeutung zu. So schrieb die WHO, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Adhärenz einen weitaus größeren Effekt auf die Gesundheit der weltweiten Bevölkerung haben könnten als jede Verbesserung spezifischer Therapien [WHO 2003]. Dazu passt ein Zitat von Everett Koop: „Medikamente wirken nicht bei Patient*innen, die sie nicht einnehmen.“ [Osterberg und Blaschke 2005]. In der Onkologie steigt die Relevanz der Therapietreue durch die stetige Zunahme an oralen Therapien – in den zurückliegenden 20 Jahren wurden in Deutschland mehr als 50 orale Krebsmedikamente zugelassen [Schlichtig et al. 2019].

Ein systematisches Review, das 51 Publikationen zur Adhärenz bei oralen antineoplastischen Therapien auswertete, fand Adhärenzraten zwischen 46 und 100 % abhängig von der Patient*innenpopulation, der Art der Medikation, dem Beobachtungszeitraum und dem Messinstrument [Greer et al. 2016]. Insgesamt gibt es eine Vielzahl an Faktoren, die die Adhärenz beeinflussen und fünf Kategorien zugeordnet werden können (Abbildung 1). Daraus wird ersichtlich, dass auch die Beziehung zwischen Behandelnden und Betroffenen, welche wesentlich durch die Kommunikation geprägt ist, Effekte auf die Therapietreue ausübt [Baumann und Welslau 2017].

Eine besondere Bedeutung für die Adhärenz kommt hierbei der Anfangsphase einer Therapie zu. In dieser Zeit sind häufig noch Therapie- und Dosisanpassungen notwendig und Patient*innen sind ggf. erstmalig mit den Nebenwirkungen der Behandlung konfrontiert, was die Einstellung gegenüber der Medikation beeinflussen kann [Baumann und Welslau 2017]. Entscheidend für die Adhärenz ist dabei nicht das Auftreten der Nebenwirkung selbst, sondern das entsprechende Management [Geissler et al. 2017]. Generell sollte der Effekt von Nebenwirkungen seitens der Ärzteschaft nicht unterschätzt werden, auch wenn die Verträglichkeit neuer oraler antineoplastischer Wirkstoffe in klinischen Studien häufig besser ist als bei bisherigen Therapien. In jedem Falle gilt, dass die ersten Erfahrungen mit einem neuen Medikament nicht negativ geprägt sein sollten, um die Therapietreue nicht zu gefährden [Baumann und Welslau 2017].

Eine weitere besondere Herausforderung an die Adhärenz stellt die dauerhafte, ggf. sogar lebenslange Behandlung dar, die in einigen Bereichen der Onkologie (z. B. der chronischen myeloischen Leukämie) mit den zielgerichteten Therapien Einzug gehalten hat. Bei langfristiger Anwendung können auch geringe, durch das Medikament verursachte Belastungen sowie eine Reduktion der Krankheitssymptome oder Gewöhnungseffekte die Therapietreue negativ beeinflussen [Baumann und Welslau 2017].