MOLEKULARE TESTUNG BEIM NICHT-KLEINZELLIGEN LUNGENKARZINOM

5. Zielgerichtete Therapien

Die Identifikation onkogener Treiber eröffnet der Forschung und Entwicklung regelmäßig neue Angriffspunkte für antitumorale Therapien, die ihre Wirksamkeit bereits vielfach bewiesen haben. Der wirkmechanistische Ansatz von zielgerichteten Therapien ist die spezifische Inhibition der von einer Mutation betroffenen Signalkaskade, beispielsweise durch die Inhibition von Tyrosinkinasen. Die onkogene Signalübertragung wird dadurch gezielt gehemmt. Der erste TKI zur Behandlung des NSCLC wurde 2005 in Europa zugelassen (EGFR-TKI Erlotinib), seitdem sind zahlreiche weitere Wirkstoffe hinzugekommen (Tabelle 1).

Tabelle 1: Übersicht zielgerichteter Therapien beim NSCLC im Stadium IV mit onkogener Treibermutation; modifiziert nach [Rote Liste 2022].

Bei Patient*innen mit NSCLC im Stadium IV, denen heute noch keine kurative Therapie zur Verfügung steht, können zielgerichtete Therapien das progressionsfreie Überleben (Progression-Free Survival, PFS) und das OS verlängern. So hatten NSCLC-Patient*innen mit aktivierender EGFR-Mutation in insgesamt sechs Phase-III-Studien zu EGFR-TKI der ersten Generation (Gefitinib, Erlotinib), ein längeres medianes PFS unter der zielgerichteten Therapie (9,2 – 13,1 Monate) als unter Chemotherapie (4,6 – 6,3 Monate). Zudem verbesserte sich die Gesamtansprechrate (ORR) von 31 – 47 % unter Chemotherapie auf 62,1 – 83 % unter EGFR-TKI [Hsu et al. 2018]. Afatinib und Dacomitinib gehören zu den EGFR-TKI der zweiten Generation. Afatinib zeigte in zwei Phase-III-Studien mit Patient*innen mit EGFR-Mutation ebenfalls ein längeres medianes PFS (11 Monate) gegenüber Chemotherapie (5,6 – 6,9 Monate) und darüber hinaus bei Patient*innen mit EGFRdel19 ein verlängertes OS. Die ORR verbesserte sich von 23 % auf 56 – 67 % [Hsu et al. 2018]. Dacomitinib wurde beispielsweise in der randomisierten, offenen Phase-III-Studie ARCHER 1050 mit einer Gefitinib-Therapie verglichen und demonstrierte ein längeres medianes PFS (14,7 vs. 9,2 Monate) sowie ein längeres medianes OS (34,1 vs. 26,8 Monate), wohingegen die ORR bei beiden EGFR-TKI vergleichbar war (75 vs. 72 %) [Mok et al. 2018, Wu et al. 2017]. Osimertinib wird zur dritten Generation der EGFR-TKI gezählt und zeichnet sich durch seine Wirksamkeit bei vorliegender EGFRT790M-Resistenzmutation aus. So betrug in einer randomisierten, offenen Phase-III-Studie, die EGFRT790M-positive NSCLC-Patient*innen mit EGFR-TKI-Erstlinientherapie einschloss, das mediane PFS im Osimertinib-Arm 10,1 Monate im Vergleich zu 4,4 Monaten im Chemotherapie-Arm und die ORR verbesserte sich auf 71 % gegenüber 31 % [Mok et al. 2017]. Die FLAURA-Studie zeigte zudem die Wirksamkeit von Osimertinib zur Erstlinientherapie von Patient*innen mit EGFR-Mutation. Im Vergleich zu einer Therapie mit Gefitinib oder Erlotinib war Osimertinib mit einem längeren medianen PFS (18,9 vs. 10,2 Monate) und einem längeren OS (38,6 vs. 31,8 Monate) verbunden, wohingegen die ORR in beiden Studiengruppen vergleichbar war (80 vs. 76 %) [Ramalingam et al. 2019, Soria et al. 2017].

Eine Meta-Analyse zu den ALK-Inhibitoren der ersten (Crizotinib) und zweiten (Alectinib, Brigatinib, Ceritinib) Generation ergab, dass alle Wirkstoffe das PFS gegenüber Chemotherapie verbesserten (HR Crizotinib: 0,46; HR Alectinib: 0,23; HR Brigatinib: 0,23; HR Ceritinib: 0,52). Darüber hinaus wurde eine Verlängerung des OS unter Alectinib-Therapie im Vergleich zur Chemotherapie gezeigt (HR: 0,57) [Elliott et al. 2020]. Der TKI Crizotinib ist aufgrund der Sequenzhomologie von ROS1 und ALK im Bereich der Bindestelle ebenfalls zur Erstlinientherapie des NSCLC mit ROS1-Translokation zugelassen. In der Phase-I-Studie PROFILE 1001, die 53 ROS1-positive NSCLC-Patient*innen einschloss, war Crizotinib mit einem medianen PFS von 19,3 Monaten, einem medianen OS von 51,4 Monaten und einer ORR von 72 % verbunden [Shaw et al. 2019].

Die zielgerichtete Therapie BRAFV600E-positiver NSCLC setzt sich aus einem BRAF-Inhibitor (Dabrafenib) und einem Inhibitor der Kinase MEK (Trametinib) zusammen. In einer Phase-II-Studie mit 36 therapienaiven bzw. 57 vorbehandelten Patient*innen wurde unter der TKI-Behandlung ein medianes PFS von jeweils ca. 10 Monaten, ein medianes OS von 17,3 bzw. 18,2 Monaten und eine ORR von 64 bzw. 68 % erreicht [Planchard et al. 2020a]. In einer retrospektiven Real-World-Studie betrugen das mediane PFS und OS sogar 17,5 bzw. 25,5 Monate (40 therapienaive oder vorbehandelte Patient*innen) [Auliac et al. 2020].

Der seit Februar 2021 für die Zweit-/Drittlinientherapie zugelassene RET-TKI Selpercatinib war in der zulassungsrelevanten Phase-I/II-Studie mit einem medianen PFS von 16,6 Monaten verbunden und die ORR betrug 64 %. Ein Jahr nach Therapiebeginn waren 66 % der 105 Patient*innen, die mit platinhaltiger Chemotherapie vorbehandelt waren, progressionsfrei [Drilon et al. 2020].

Auch bei Patient*innen mit METex14-Skipping ist eine zielgerichtete Therapie mit einem längeren OS verbunden. So führte die Behandlung mit Capmatinib in der Phase-II-Studie GEOMETRY-mono-1 in der Kohorte 4, die Capmatinib als Zweit- oder Drittlinientherapie untersuchte, zu einem medianen OS von 13,6 Monaten und einem medianen PFS von 5,4 Monaten. In der Extensionskohorte 6 betrug das mediane PFS 6,9 Monate, wohingegen die OS-Daten noch nicht ausgereift sind. Die ORR betrug 41 % in Kohorte 4 und 52 % in Kohorte 6 [Wolf et al. 2021]. Tepotinib war in einer offenen Phase-II-Studie bei vorbehandelten Patient*innen mit einem medianen OS von 19,9 Monaten und einem medianen PFS von 11 Monaten verbunden. Die ORR betrug in dieser Subgruppe 44 % [Griesinger et al. 2022].

Sotorasib, der erste zugelassene KRASG12C-Inhibitor, zeigte in einer Phase-I/II-Studie bei vorbehandelten Patient*innen mit KRASG12C-Mutation ein medianes OS von 12,5 Monaten, ein medianes PFS von 6,8 Monaten und eine ORR von 37 % [Skoulidis et al. 2021].

Auf Grundlage der nachgewiesenen Wirksamkeit von zielgerichteten Therapien bei NSCLC-Patient*innen mit entsprechender onkogener Treibermutation sollen laut Leitlinie der DGP je nach Mutationsstatus passende TKI zur Erstlinientherapie angeboten werden. Sofern verfügbar, sollen bei Versagen des Erstlinien-TKI auch in weiteren Therapielinien alternative TKI eingesetzt werden. Sind keine weiteren TKI zugelassen, sollten die Patient*innen nach Möglichkeit in klinische Studien zu gezielten Therapien eingeschlossen werden. Erst falls auch dies nicht möglich ist, wird eine Behandlung mit Chemotherapie wie für Patient*innen ohne onkogene Treibermutation empfohlen [Leitlinienprogramm Onkologie 2018]. Ein entsprechender Therapiealgorithmus, der von Onkopedia veröffentlicht wurde, ist in Abbildung 5 dargestellt.

Abbildung 5: Therapiealgorithmus für Patient*innen mit NSCLC im Stadium IV und umfassender molekularer Diagnostik bei gutem oder mäßig reduziertem Allgemeinzustand und keiner ausgeprägten Komorbidität; modifiziert nach [Onkopedia 2021]. AK: Antikörper, i: Inhibitor, PD: progrediente Erkrankung (Progressive Disease), TKI: Tyrosininhibitor, UC: seltene Mutationen (Uncommon Mutations), UC I: Punktmutationen oder Duplikationen in den Exonen 18 – 21, UC II: Mutation T790M im Exon 20 allein oder in Kombination mit anderen Mutationen, UC III: Exon-20-Insertionen.
1Weitere Alterationen: z. B. ERBB2/HER2-Amplifikationen und -Mutationen, KRASG12C-Mutationen,METex14-Skipping-Mutationen oder MET-Amplifikationen
2Für BRAFV600E-Mutationen, NTRK-Alterationen und RET-Translokationen sind gezielte Therapien für die Erstlinienbehandlung zugelassen, für METex14-Skipping- und KRASG12C-Mutationen sind gezielte Therapien für die Zweitlinienbehandlung zugelassen (s. Tabelle 1)
3Vor allem bei ZNS-Metastasen

Nahezu alle Patient*innen unter zielgerichteter Therapie sind irgendwann von Resistenzen betroffen [Asao et al. 2019]. Dabei gibt es zahlreiche unterschiedliche Mechanismen, die zum Wirksamkeitsverlust von TKI beitragen können. So können sekundäre Punktmutationen zu Konformationsänderungen der Tyrosinkinase führen, die eine Bindung des Inhibitors unmöglich macht. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die EGFRT790M-Mutation, die für 40 – 50 % der Resistenzen gegenüber EGFR-TKI der ersten Generation verantwortlich ist [Asao et al. 2019]. Ein weiterer Resistenzmechanismus ist die Aktivierung alternativer Signalwege. So verursacht eine erhöhte MET-Aktivität durch Amplifikation des MET-Gens 5 – 22 % der Resistenzen gegen EGFR-TKI der ersten und zweiten Generation [Zhang et al. 2019c] sowie 15 – 19 % der Resistenzen gegen EGFR-TKI der dritten Generation [Papadimitrakopoulou et al. 2018, Ramalingam et al. 2018]. Darüber hinaus ist auch eine Aktivierung des Signalwegs unterhalb vom Angriffspunkt des Inhibitors möglich. Aufgrund der besonderen Bedeutung von Resistenzmutationen empfehlen die DGP- und Onkopedia-Leitlinien beim Auftreten einer akquirierten EGFR- oder ALK-TKI-Resistenz eine Rebiopsie (oder Liquid Biopsy) und molekulare Diagnostik zur Bestimmung des Resistenzmechanismus [Leitlinienprogramm Onkologie 2018, Onkopedia 2021].