MOLEKULARE TESTUNG BEIM NICHT-KLEINZELLIGEN LUNGENKARZINOM

2. MOLEKULARE TREIBER BEIM NSCLC

Bei sogenannten molekularen Treibern handelt es sich um genetische Veränderungen, die ein malignes Wachstum der Zellen zur Folge haben. Generell führen die genetischen Aberrationen zu einer konstitutiven Aktivierung von Signalkaskaden, z. B. über die Aktivierung von Tyrosinkinasen, die das Zellüberleben, die Proliferation und die Differenzierung steuern. Bekannte genetische Veränderungen, die als onkogene Treiber beim NSCLC fungieren, sind Insertionen, Deletionen, Punktmutationen, Translokationen/Fusionen und Exon-Skipping-Mutationen. Beim NSCLC sind Mutationen der EGFR- und KRAS-Gene am häufigsten, sie werden bei etwa 17 % bzw. 29 % der Patient*innen nachgewiesen. Die meisten molekularen Treiber treten beim NSCLC jedoch mit einer niedrigen Frequenz von < 5 % auf [Schrock et al. 2016, Thai et al. 2021]. Eine Übersicht über die bislang identifizierten molekularen Treiber und ihre Häufigkeit beim metastasierten NSCLC zeigt Abbildung 1.

Abbildung 1: Häufigkeit onkogener Treiber beim NSCLC; modifiziert nach [Schrock et al. 2016, Thai et al. 2021].

Die derzeit therapierelevanten molekularen Treiber werden im Folgenden genauer beleuchtet: EGFR-Mutationen wurden beim NSCLC erstmals 2004 beschrieben, mittlerweile sind sowohl Insertionen und Deletionen als auch Punktmutationen bekannt. Die EGFR-Mutationen führen zu einer konstitutiven Aktivierung der Kinasefunktion des transmembranen Wachstumsfaktor-Rezeptors und somit auch der nachfolgenden Signalkaskade. Genetische Aberrationen, die eine Sensitivität gegenüber Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) aufweisen, sind überwiegend in Exon 19 und 21 lokalisiert. Am häufigsten treten die Exon-19-Deletion (EGFRdel19, 45 %) sowie die L858R-Aminosäuresubstitution (EGFRL858R , 41 %) auf [Cheng et al. 2012]. Neben diesen klassischen EGFR-Mutationen gibt es eine Reihe seltener Mutationen (Uncommon Mutations), die Exon-20-Insertionen, Punktmutationen und komplexe Mutationen umfassen. Insbesondere erstere werden mittlerweile in verschiedenen klinischen Studien therapeutisch adressiert [Zhang et al. 2019b]. Mutationen, die eine Resistenz gegenüber TKI vermitteln, z. B. EGFRT790M , befinden sich bevorzugt in Exon 20 [Cheng et al. 2012].

Beim ALK-Gen handelt es sich beim molekularen Treiber um eine Translokation, die 2007 erstmalig bei einem NSCLC-Patienten nachgewiesen wurde. Aus einer Inversion auf Chromosom 2 resultiert ein EML4-ALK- Fusionsprotein, welches die gesamte intrazelluläre Kinasedomäne des ALK-Proteins und je nach Variante einen unterschiedlich langen Abschnitt des EML4- Proteins enthält. Neben EML4 wurden auch andere Fusionspartner beschrieben, die jedoch insgesamt selten sind. Das EML4-ALK-Fusionsprotein ist zur Liganden-unabhängigen Dimerisierung befähigt, was in einer konstitutiven Aktivierung der Kinasefunktion resultiert (Abbildung 2) [Shaw und Solomon 2011].

Auch beim ROS1-Gen handelt es sich beim molekularen Treiber um eine Translokation, die zur Bildung von Fusionsproteinen und einer dauerhaften Signaltransduktion führt. Die Fusionspartner von ROS1 sind jedoch sehr divers. Bemerkenswerterweise besteht zwischen der ATP-Bindungsdomäne (dem typischen Angriffspunkt von TKI) von ALK und ROS1 eine mehr als 80%ige Sequenzhomologie. Aus diesem Grund ist z. B. der TKI Crizotinib sowohl bei ALK- als auch bei ROS1-Translokationen wirksam (s. Kapitel 5) [Rossi et al. 2017].

Abbildung 2: Gentranslokationen als onkogene Treiber; modifiziert nach [Farago und Azzoli 2017]. A) Schematische Darstellung der Domänenstruktur einer Wildtyp-Rezeptortyrosinkinase sowie eines Fusionsproteins. B) Schematische Darstellung einer Liganden-abhängigen Rezeptordimerisierung und Signaltransduktion bei Wildtyp-Rezeptor­tyrosin­kinasen. C) Schematische Darstellung der Liganden-unabhängigen Dimerisierung und Signal­transduktion von Fusionsproteinen mit (links) bzw. ohne (rechts) Transmembrandomäne. MAPK: Mitogen-Activated Protein Kinase; PI3K: Phosphatidylinositol 3-Kinase; TM: Transmembrandomäne

Die häufigste Mutation des BRAF-Gens ist eine Punktmutation, die zur Aminosäuresubstitution BRAFV600E führt; sie macht etwa 60 % der BRAF-Mutationen beim NSCLC aus [Marchetti et al. 2011]. Im Gegensatz zu EGFR, ALK und ROS1 ist BRAF kein transmembraner Rezeptor, sondern eine intrazelluläre Kinase. Doch wie bei den zuvor genannten Rezeptoren resultiert aus der Konformationsänderung von BRAF eine konstitutive Aktivierung der Kinase unabhängig von extrazellulären Stimuli.

Die drei humanen NTRK-Gene kodieren wiederum Rezeptortyrosinkinasen, die physiologisch u. a. vom Nervenwachstumsfaktor aktiviert werden. Beim NSCLC wurde 2013 erstmals eine NTRK-Translokation beschrieben. Bis heute wurden Fusionsproteine mit zahlreichen unterschiedlichen Fusionspartnern identifiziert. Allen gemein ist eine Liganden-unabhängige Aktivierung und Signaltransduktion, die eine Hyperproliferation und Hemmung der Apoptose induziert [Farago und Azzoli 2017, Stenzinger et al. 2021]. Das gleiche Prinzip gilt auch für das RET-Gen, das ebenfalls für eine Rezeptortyrosinkinase kodiert und durch Translokationen onkogene Fusionsproteine hervorbringen kann. Der häufigste Fusionspartner ist das KIF5B-Gen, es wurden jedoch auch andere Fusionsvarianten beschrieben [Farago und Azzoli 2017]. Kürzlich wurden von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zielgerichtete Therapien für zwei weitere onkogene Treiber zugelassen. Dies betrifft zum einen das MET-Gen, das den Mesenchymal-epithelialen Transitionsfaktor kodiert. Ligand dieses Rezeptors ist der Hepatozyten-Wachstumsfaktor (HGF). Die identifizierten genetischen Aberrationen umfassen sowohl Exon-14-Skipping-Mutationen als auch Amplifikationen, Fusionen und Überexpression [Liang und Wang 2020]. Bei ersteren handelt es sich um Mutationen, welche die Spleißstellen von Exon 14 betreffen und dazu führen, dass beim Spleißen der messenger RNA (mRNA) neben den Introns auch Exon 14 entfernt wird (METex14-Skipping). In der Folge fehlt dem translatierten Protein eine Domäne, die für die Ubiquitin-vermittelte Degradation des Rezeptors essenziell ist (Abbildung 3). Da das Protein ansonsten funktionell ist, führt ein Ausbleiben des Abbaus zu einer verlängerten Signaltransduktion. Es sind mittlerweile mehr als 120 genetische Alterationen bekannt, die zu METex14-Skipping führen [Frampton et al. 2015]. Bei der MET-Amplifikation liegt eine erhöhte Kopienzahl (GCN, Gene Copy Number) des MET-Gens vor, die ebenfalls in einer gesteigerten MET-Aktivität resultiert. Die MET-Amplifikation stellt zudem einen häufigen Resistenzmechanismus nach einer EGFR-TKI-Behandlung dar. So gehen 5 – 22 % der Resistenzen gegen EGFR-TKI der ersten und zweiten Generation [Zhang et al. 2019c] sowie 15 – 19 % der Resistenzen gegen EGFR-TKI der dritten Generation [Papadimitrakopoulou et al. 2018, Ramalingam et al. 2018] auf eine MET-Amplifikation zurück.

Abbildung 3: Schematische Darstellung von MET-Exon-14- (METex14-)Skipping; modifiziert nach [Salgia et al. 2020].

Des Weiteren erteilte die EMA im Januar 2022 auch die Zulassung für einen GTPase-Inhibitor zur Behandlung von NSCLC mit KRASG12C-Mutation. Diese Punktmutation im Codon 12 des KRAS-Gens macht etwa 40 – 50 % aller KRAS-Mutationen in westlichen Populationen aus [Burns et al. 2020]. [Burns et al. 2020]. Die GTPase überträgt Signale von Oberflächenrezeptoren an unterschiedliche nachfolgende Signalkaskaden und wechselt dabei zwischen dem inaktiven GDP-(Guanosindiphosphat-)gebundenen und dem aktiven GTP-(Guanosintriphosphat-)gebundenen Zustand. Durch die Aminosäuresubstitution G12C wird die Hydrolyse von GTP in GDP verhindert und das Protein verharrt im aktiven Zustand [Burns et al. 2020].

Im Fokus intensiver Forschung und zahlreicher klinischer Studien steht zudem ERBB2/HER2, ein weiteres Mitglied der Familie epidermaler Wachstumsfaktorrezeptoren, zu der auch EGFR gehört. Sowohl ERBB2/HER2-Amplifikationen und -Mutationen als auch Protein-Überexpressionen wurden bei Patienten mit NSCLC nachgewiesen. Die häufigste ERBB2-Mutation ist eine Insertion in Exon 20 (YVMA 776-779 ins), sie macht 80–90 % der ERBB2-Mutationen aus. Wie bereits für die anderen Tyrosinkinasen beschrieben, führen die onkogenen Mutationen zu einer konstitutiven Aktivierung des Rezeptors und der nachfolgenden Signalkaskade [Zhao und Xia 2020].

Mutationsübergreifend wird für einige onkogene Treiber des NSCLC, dazu zählen ALK-, ROS1- und NTRK-Translokationen, angenommen, dass sie das Auftreten anderer molekularer Treiber ausschließen [Lin et al. 2017, Takahashi et al. 2010, Vaishnavi et al. 2013]. Bei anderen molekularen Treibern, wie RET-Translokationen oder der BRAFV600E-Mutation, wurde diese Annahme zumindest in Einzelfällen bereits widerlegt [Marchetti et al. 2011, Zhang et al. 2019a]. Drüber hinaus scheint das Vorhandensein von molekularen Treibern beim NSCLC eng mit spezifischen klinisch-pathologischen Merkmalen verbunden zu sein. So treten EGFR-, ALK-, ROS1-, BRAFV600E- und RET-Mutationen insbesondere bei Nichtraucher*innen, Adenokarzinomen, Frauen oder jüngeren Patienten mit NSCLC auf [Bergethon et al. 2012, Chen et al. 2014, Sacher et al. 2016, Schuette et al. 2015, Shaw und Solomon 2011, Takahashi et al. 2010, Wang et al. 2012]. METex14-Skipping wurde hingegen besonders häufig bei Frauen, Nichtraucher*innen und älteren Patient*innen nachgewiesen [Vuong et al. 2018]. Molekulare Treiber können zudem mit einer vergleichsweise schlechten Prognose assoziiert sein. Beispielsweise beträgt die Hazard Ratio (HR) von NSCLC-Patienten mit METex14-Skipping gegenüber MET-Wildtyp 1,82 [Vuong et al. 2018]. Lungentumoren mit BRAFV600E- Mutation wiesen in einer retrospektiven Studie bei 80 % der Patienten einen aggressiven Typ auf und waren mit einem kürzeren krankheitsfreien Überleben und Gesamtüberleben (Overall Survival, OS) verbunden [Marchetti et al. 2011]. Zudem sprechen NSCLC-Patienten mit molekularen Treibern oft schlecht auf eine Immuntherapie an. Beispielsweise lag die objektive Ansprechrate auf eine Immuncheckpoint-Inhibitor-Monotherapie in einer retrospektiven Studie zwischen 0 % bei Patienten mit ALK-Translokation (n = 23) und 26 % bei Patienten mit KRAS-Mutation (n = 271) [Mazieres et al. 2019].