Diagnose und Therapie der chronischen Urtikaria

4. Therapie

Das primäre und einheitliche Ziel der Behandlung aller Unterformen der Urtikaria ist das Erreichen einer vollständigen Beschwerdefreiheit [Zuberbier et al. 2018]. Der Therapieansatz besteht dabei aus zwei Punkten:

  1. Eliminierung und Vermeidung der möglichen Auslöser
  2. Symptomatische Therapie mit Medikamenten, die a) die Mastzellaktivierung inhibieren oder b) die von Mastzellen freigegebenen Mediatoren inaktivieren [Magerl et al. 2016].

4.1 Identifizierung und Beseitigung der möglichen Auslöser sowie aggravierender Faktoren

Wenn für den einzelnen Patienten relevante Auslöser von Quaddelschüben oder Angioödemen bekannt sind, sollten diese, wenn möglich, beseitigt oder gemieden werden.

Bei manchen Patienten können Medikamente eine bestehende chronische spontane Urtikaria verschlimmern [Kowalski et al. 2015, Mathelier-Fusade 2006] und sollten deshalb abgesetzt oder, falls notwendig, durch einen Vertreter einer anderen Substanzklasse ersetzt werden. Die Meidung führt meist nicht zu einer vollständigen Heilung, aber oft zu einer Symptomverbesserung.

Sind physikalische Reize die Auslöser des Auftretens von Urtikariabeschwerden, ist deren Meidung wünschenswert, aber in vielen Fällen aufgrund niedriger Reizschwellen nicht praktikabel bzw. ausreichend. Hier ist es wichtig, dass Patienten ausführliches Wissen über ihre Erkrankung vermittelt wird, um die entsprechenden Reize im Alltag zu erkennen und zu umgehen. So sollte beim symptomatischen Dermographismus (früher auch Urticaria factitia genannt) und bei der Druckurtikaria erklärt werden, dass bereits einfache Methoden wie z. B. die Verbreiterung des Gurtes einer schweren Tasche helfen können, die Entstehung von Symptomen zu vermeiden. Bei der Lichturtikaria bietet sich die Bestimmung des auslösenden Wellenlängenbereichs an, um eine entsprechende Auswahl von Sonnenschutzmitteln zu ermöglichen [Zuberbier et al. 2018].

Entzündliche bzw. infektiöse Erkrankungen können den Verlauf einer chronischen spontanen Urtikaria negativ beeinflussen. Es handelt sich dabei um bakterielle Infektionen des Gastrointestinaltraktes mit Helicobacter pylori oder solche im Nasen-Rachen- oder Zahnraum [Shakouri et al. 2010, Wedi et al. 2009]. Aber auch Darmparasiten, chronische Entzündungen der Magenschleimhaut oder der Gallengänge und -blase sowie eine Refluxösophagitis können eine chronische spontane Urtikaria negativ beeinflussen und sollten entsprechend behandelt werden [Bruno 1998].

IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergien nehmen nur sehr selten Einfluss auf eine chronische spontane Urtikaria. Pseudoallergische, nicht-IgE-vermittelte Reaktionen wie z. B. Hypersensitivitätsreaktionen auf verschiedene Lebensmittelinhaltsstoffe und Zusatzstoffe können einen negativen Einfluss haben [Bunselmeyer et al. 2009, Juhlin 1981, Zuberbier et al. 1995, Zuberbier et al. 2002]. In beiden Fällen wird das Vermeiden des spezifischen Nahrungsmittels empfohlen. Bei Verdacht auf Pseudoallergie und täglichen Symptomen wird die Durchführung einer pseudoallergen- und histaminarmen Diät für mindestens zwei bis drei Wochen empfohlen. Eine gute Mitarbeit des Patienten ist in diesem Fall essenziell für einen Erfolg [Zuberbier et al. 2018].

4.2 Symptomatische Therapie

Sind die beschriebenen kausalen Therapieansätze nicht möglich oder nicht erfolgreich, kommen symptomatische Behandlungsverfahren zum Einsatz. Gemäß der Konsensuskonferenz wird ein dreistufiges Therapieschema empfohlen (Abbildung 3) [EAACI/GA2LEN/EDF/WAO 2020]. Das Therapieziel Symptomfreiheit kann in manchen Fällen dadurch erreicht werden, dass die Wirkung von Histamin auf die Rezeptoren der Endothelzellen und die sensorischen Nerven reduziert wird. Den höchsten Stellenwert haben dabei nicht-sedierende H1-Antihistaminika der zweiten Generation (H1-AH) [Grob et al. 2009, Weller et al. 2013a]. Generell gilt, dass die Behandlung ab Therapiestufe 3 von einem Facharzt oder in einem spezialisierten Zentrum durchgeführt werden sollte, bei Unsicherheit oder komplizierten Verläufen kann eine Überweisung auch schon zu einem früheren Zeitpunkt erwogen werden.

Abbildung 3: Therapieziel Symptomfreiheit: aktualisierter therapeutischer Algorithmus zur symptomatischen Therapie der chronischen Urtikaria; modifiziert nach [EAACI/GA2LEN/EDF/WAO 2020].

H1-Antihistaminika der zweiten Generation sind die Therapie der ersten Wahl. Sie passieren nur in geringem Maße die Blut-Hirn-Schranke und wirken daher kaum oder nur gering sedierend. Essenziell ist es, dass die Medikamente kontinuierlich und nicht erst beim Auftreten von Symptomen eingenommen werden müssen. Wenn nach einer kontinuierlichen Einnahme über zwei bis vier Wochen keine ausreichende Krankheitskontrolle erreicht wird, empfiehlt die internationale Leitlinie eine Höherdosierung bis auf das Vierfache der Standarddosierung bevor andere Therapieoptionen in Erwägung gezogen werden [Zuberbier et al. 2018, EAACI/GA2LEN/EDF/WAO 2020]. So zeigte eine Meta-Analyse, dass bis zu 63 % positiv auf die Höherdosierung ansprachen, gegenüber 39 % der Patienten unter Standardtherapie [Guillen-Aguinaga et al. 2016]. Wichtig ist, dass der Patient über den Off-Label-Gebrauch und eventuelle Nebenwirkungen aufgeklärt wird. Folgende Wirkstoffe sind hinsichtlich ihrer Wirkung und Sicherheit bei der Behandlung der Urtikaria untersucht und empfohlen: Desloratidin, Fexofenadin, Levocetirizin, Loratadin, Ebastin, Rupatadin, Cetirizin und Bilastin. Vergleichende klinische Studien für die meisten dieser H1-Antihistaminika der zweiten Generation stehen jedoch noch aus. Von einer gleichzeitigen Einnahme von verschiedenen H1-Antihistaminika wird abgeraten [EAACI/GA2LEN/EDF/WAO 2020].

Wird auch mit einem höher dosierten Antihistaminikum keine Verbesserung der Symptome erreicht, wird eine Ergänzung der Behandlung durch Omalizumab empfohlen. Omalizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Anti-IgE-Antikörper, der in der empfohlenen Dosis von 300 mg (zwei Fertigspritzen zu je 150 mg) alle vier Wochen als subkutane Injektion verabreicht wird [Zuberbier et al. 2018]. Die effektive Wirkung von Omalizumab zeigt sich nach wenigen Tagen bis Wochen, selten erst nach zwei bis fünf Monaten [Casale et al. 2014, Metz et al. 2014] und bleibt auch über einen längeren Zeitraum konstant [Kaplan et al. 2016]. Aufgrund möglicher Spontanremissionen sollte bei Symptomfreiheit in größeren Abständen überprüft werden, ob eine Therapiefortsetzung notwendig ist. Die Wiederaufnahme einer Therapie bei einem Rückfall ist ohne Wirkverlust möglich [Metz et al. 2014, Sussmann et al. 2017]. Laut Leitlinie ist bei Bedarf eine Dosiserhöhung oder eine Verkürzung des Dosierungsintervalls möglich (Off-Label-Therapie) [EAACI/GA2LEN/EDF/WAO 2020].

Wenn nach sechsmonatiger Behandlung mit Omalizumab kein Therapieerfolg eintritt, wird eine Off-Label-Therapie mit Ciclosporin A zusätzlich zur bestehen Therapie mit H1-AH empfohlen [Zuberbier et al. 2018]. Die Wirksamkeit von Ciclosporin A wurde in verschiedenen Placebo-kontrollierten Studien nachgewiesen [Grattan et al. 2000, Kulthanan et al. 2018, Vena et al. 2006]. Da unter der Therapie häufiger unerwünschte Wirkungen auftreten können, sollte diese Therapieoption schweren, therapieresistenten Fällen vorbehalten bleiben und ein sorgfältiges Nebenwirkungsmonitoring erfolgen [Kulthanan et al. 2018, Zuberbier et al. 2018].

Bei akuten Schüben kann gemäß den Empfehlungen kurzzeitig (als Notfalltherapie, maximal bis zu zehn Tage) eine Behandlung mit hoch dosierten oralen systemischen Kortikoiden erfolgen (OCS), um Krankheitsdauer und -aktivität zu vermindern [Asero und Tedeschi 2010, Zuberbier et al. 1996]. Die Dosierungsempfehlung liegt bei 20–50 mg Prednison pro Tag [Zuberbier et al. 2018]. Eine langfristige Gabe von OCS sollte aufgrund der hohen Nebenwirkungsrate unbedingt vermieden werden.

Die Therapie sollte auch bei Kindern gemäß des beschriebenen Stufenschemas mit Vorsicht erfolgen und in Stufe 1 mit einem H1-Antihistaminikum der zweiten Generation inklusive einer gewichtsadaptierten Dosiserhöhung beginnen (Off-Label-Therapie) [Zuberbier et al. 2018]. Cetirizin, Desloratadin, Fexofenadin, Levocetirizin, Rupatadin, Bilastin sowie Loratadin wurden erfolgreich in klinischen Studien getestet [Nayak et al. 2017, Gupta et al. 2007, Meltzer et al. 2004, Pampura et al. 2011, Potter et al. 2016, Novak et al. 2016] und können sicher angewendet werden. Die Therapiestufen 2 und 3 wurden bei Kindern bisher nur wenig untersucht [Zuberbier et al. 2018].

Der Therapiealgorithmus gilt auch für Schwangere und stillende Frauen, sollte jedoch mit Vorsicht und unter Betrachtung einer Nutzen-Risiko-Bewertung angewendet werden [EAACI/GA2LEN/EDF/WAO 2020]. Grundsätzlich sollte eine systemische Behandlung von schwangeren Patientinnen insbesondere im ersten Trimenon vermieden sowie jeweils im Einzelfall entschieden werden. Falls notwendig, sollten Wirkstoffe mit geringer Teratogenität und Embryotoxizität präferiert werden [Zuberbier et al. 2018]. So liegen für die H1-Antihistaminika Loratadin [Schwarz et al. 2008] und Cetirizin [Weber-Schoendorfer und Schaefer 2008] sehr gute Sicherheitsdaten vor. Für Omalizumab konnte bislang kein Sicherheitsrisiko oder eine Teratogenität [Ghazanfar und Thomsen 2015, Gonzalez-Medina et al. 2017, Namazy et al. 2020] nachgewiesen werden, bei klinischer Notwendigkeit kann die Anwendung in Betracht gezogen werden. Auch für Ciclosporin A gibt es bislang keine Hinweise für ein Sicherheitsrisiko oder eine Teratogenität, allerdings wird eine Assoziation mit einer vorzeitigen Geburt und einem geringen Geburtsgewicht vermutet [Bar Oz et al. 2001].