COVID-19-IMPFUNG BEI PATIENT*INNEN
MIT MULTIPLER SKLEROSE UNTER
MONOKLONALER ANTIKÖRPERTHERAPIE

4 IMPFUNG GEGEN COVID-19

Grundsätzlich versuchen Impfstoffe eine Infektion zu simulieren und mithilfe von Gedächtniszellen eine möglichst andauernde Immunität aufzubauen. Dies ist auch bei den COVID-19-Impfstoffen der Fall, welche primär vor schweren Krankheitsverläufen, jedoch nicht grundsätzlich vor einer Infektion schützen. Impfstoffe werden im Allgemeinen als Lebend- oder Totimpfstoffe klassifiziert, jedoch wurden in den letzten Jahren mehrere andere Plattformen entwickelt, darunter u. a. virale Vektoren und RNA-Impfstoffe. Traditionell dauert die Entwicklung von Impfstoffen gegen neuartige Pathogene mehr als zehn Jahre, aber die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie dringend Impfstofftechnologien benötigt werden, die flexibel sind und eine schnelle Entwicklung, Produktion und Ausweitung ermöglichen [Pollard und Bijker 2021]. Dank der beispiellosen weltweiten wissenschaftlichen Anstrengung wurden innerhalb kürzester Zeit mehrere Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 entwickelt und bereits im Dezember 2020, nur ein Jahr nach Auftreten der ersten SARS-CoV-2-Infektion, war der erste COVID-19-Impfstoff in der EU verfügbar. Zum jetzigen Zeitpunkt (Stand Juli 2023) sind verschiedene COVID-19-Impfstoffe in der EU und in Deutschland zugelassen, die auf unterschiedlichen Technologien basieren. Dies sind Messenger-RNA-(mRNA-)Impfstoffe, Vektor-Impfstoffe, Protein-Impfstoffe und ein inaktivierter Ganzvirus-Impfstoff, welche aufgrund ihrer Wirkmechanismen unterschiedliche Immunantworten auslösen (Tabelle 1). So löst die Vakzinierung mit Protein-Impfstoffen eine primär Antikörper-vermittelte Immunantwort aus, während die Impfung mit mRNA- und Vektor-Impfstoffen sowohl die humoral vermittelte als auch zellulär vermittelte Immunantwort induziert. Somit kommen mRNA-basierte Impfstoffe und Vektor-Impfstoffe dem natürlichen Verlauf einer Immunantwort nach „echter“ Virusinfektion am nächsten.

Nicht alle COVID-19-Impfstoffe stehen dem Markt zur Verfügung und in Deutschland haben sich hauptsächlich die mRNA-Impfstoffe durchgesetzt, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

Tabelle 1: Fähigkeit der verschiedenen Impfstoffe zur Auslösung von Akut-Reaktionen und des Langzeitgedächtnisses im Vergleich zu viralen Infektionen. mRNA: Messenger Ribonucleic Acid.

4.1 mRNA-IMPFSTOFFE

Bei mRNA-Impfstoffen wird die mRNA, die die Informationen eines bestimmten Virusproteins (Ziel-Antigen) kodiert, in Lipid-Nanopartikel verpackt in den Muskel injiziert. Die zugelassenen mRNA-Impfstoffe kodieren dabei das Spike-Protein von SARS-CoV-2. Das Spike-Protein ist wie oben beschrieben für den Eintritt des Virus in die Wirtszelle zuständig, jedoch nicht infektiös und kann daher nicht die Erkrankung auslösen. Nach der Injektion fusionieren die mRNA-Lipid-Nanopartikel mit APC und die Virusprotein-kodierende mRNA gelangt in deren Zytosol. mRNA birgt hier den Vorteil, dass sie nicht in den Zellkern gelangt und nicht in das Genom der Wirtszelle eingebaut werden kann. Zudem ist mRNA recht instabil und verfällt in kurzer Zeit, sodass der Effekt der Fremdproteinproduktion nur transient ist. Die mRNA-transfizierten Zellen übersetzen nun die mRNA in das kodierte Protein und produzieren dieses. Anschließend gelangt das virale Protein wie beim echten Virusbefall über die MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-Moleküle auf die Zelloberfläche und eine spezifische Immunantwort wird damit ausgelöst. Dabei kommt es wie bei einem tatsächlichen Virusbefall sowohl zur Ausbildung einer T-Zell-Antwort und -Immunität wie auch zu einer Antikörperantwort. Kommt eine geimpfte Person später mit SARS-CoV-2 in Kontakt, so erkennt das adaptive Immunsystem das Virus anhand dessen Oberflächenstruktur (Spike-Protein) und kann das Virus schnell bekämpfen. Dabei induzieren mRNA-Impfstoffe sowohl eine CD8+-T- als auch eine B-Zell-Immunantwort [Sahin et al. 2021]. Die Induktion einer zellulären Immunantwort ist insbesondere unter dem Aspekt neuer Virusvarianten und der damit einhergehenden Abnahme der Antikörper-vermittelten Virusneutralisation sowie dem nichtlytischen Charakter von SARS-CoV-2 von hoher Relevanz.

Ein Vorteil von mRNA-Impfstoffen ist, dass sie bei Kenntnis der Virussequenz innerhalb kürzester Zeit entwickelt, hergestellt und angepasst werden können. Während die Produktion traditioneller viraler Impfstoffe komplex ist und Monate dauern kann, ist die Produktion großer Mengen an mRNA-Impfstoff in kurzer Zeit möglich. Es kann daher schnell auf die Entstehung von Mutationen reagiert werden und die bestehenden COVID-19-mRNA-Impfstoffe wurden bereits an verschiedene Omikron-Varianten angepasst. Die neuen Impfstoffvarianten enthalten sowohl die mRNA der Ursprungsvariante von SARS-CoV-2 als auch die mRNA der Omikron-Variante BA.1 bzw. der Omikron-Varianten BA.4 und BA.5. Diese adaptierten, bivalenten Impfstoffe sind so angepasst, dass sie den zirkulierenden Varianten von SARS-CoV-2 besser entsprechen und werden daher für die Auffrischimpfung empfohlen [RKI 2022c].

Ein weiterer Vorteil von mRNA-Impfstoffen liegt darin, dass keine Adjuvanzien eingesetzt werden müssen. Die Wirkung von vielen Adjuvanzien in Impfstoffen besteht unter anderem darin, dass sie die angeborenen Sensorsignalwege für Viren bei den APC auslösen und somit die Aktivierung und Stimulation von APC des angeborenen Immunsystems und damit deren Eigenschaften, T-Zellen antigenspezifisch zu aktivieren, fördern [Murphy und Weaver 2018]. Die mRNA in den Impfstoffen kodiert nicht nur das Ziel-Antigen, welches nach Präsentation der MHC-Moleküle die T-Zell-Aktivierung ermöglicht, sondern wirkt auch als eigenes Adjuvans, indem es z. B. durch Aktivierung der Rezeptoren TLR-7 und TLR-8 die angeborene Immunantwort auslöst [Edwards et al. 2017].

4.2 AUFFRISCHIMPFUNG

Bei der Auffrischimpfung (Booster-Impfung) handelt es sich um eine zusätzliche Verabreichung einer Dosis eines zugelassenen Auffrischimpfstoffs. Auffrischimpfungen führen zu einer Verbesserung der adaptiven Immunantwort gegen SARS-CoV-2, insbesondere einer Erhöhung der Antikörper-Titer [Furukawa et al. 2022, Gruell et al. 2022]. Während das Immunsystem bei der ersten Impfung mit einem Neoantigen konfrontiert wird, reaktiviert die Auffrischimpfung hauptsächlich das Immungedächtnis, ermöglicht die Bildung neuer B-Gedächtniszellen, verbessert die Spezifität der bestehenden Antikörper und regt langlebige Plasmazellen, die beim Erstkontakt gebildet wurden und dann in Kompartimenten wie dem Knochenmark residieren, dazu an, erneut Antikörper produzieren.

Nach aktuellem Wissensstand verhelfen drei Antigenkontakte (Basisimmunität) zu einem guten Immunschutz. So zeigen deutsche Daten, dass eine Auffrischimpfung im Vergleich zu der Grundimmunisierung im Rahmen der Omikron-Welle mit einer signifikanten Verbesserung der humoralen Immunantwort einhergeht [Gruell et al. 2022]. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Menschen ab 18 Jahren, dass mindestens zwei Antigenkontakte als Impfungen erfolgen. Noch fehlende Antigenkontakte sollen durch Impfungen mit zur Grundimmunisierung oder Auffrischimpfung zugelassenen COVID-19-Impfstoffen komplettiert werden. Zwischen der ersten und zweiten Impfstoffdosis (Grundimmunisierung) sollte ein Mindestabstand von drei Wochen (entsprechend der Fachinformation des jeweils verwendeten Impfstoffs) und zwischen der zweiten und dritten Impfstoffdosis ein Mindestabstand von sechs Monaten eingehalten werden. Eine Infektion sollte in der Regel nur dann als ein Ereignis für die angestrebten drei Antigenkontakte gewertet werden, wenn der Abstand zur vorangegangenen Impfung mindestens drei Monate beträgt und umgekehrt sollte nach einer Infektion eine Grundimmunisierung frühestens drei Monate später vervollständigt werden. Für Kinder und Jugendliche gibt es keine Empfehlung für eine COVID-19-Impfung, sofern sie nicht in eine Risikogruppe fallen [RKI 2023].

Für Risikogruppen, d. h. 1.) alle Personen über 60 Jahre, 2.) alle Menschen ab sechs Monaten mit einer chronischen Erkrankungen, die das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe erhöhen, 3.) Menschen in Einrichtungen der Pflege und 4.) medizinisches und pflegendes Personal mit direktem Patient*innen- oder Bewohner*innenkontakt sowie Familienangehörige und enge Kontaktpersonen von Immunsupprimierten, wird seitens der STIKO empfohlen, sich regelmäßig, im Idealfall im Herbst, mit einem Impfstoff auffrischen zu lassen. Bei Personen mit einer relevanten Einschränkung der Immunantwort kann es erforderlich sein, den regulär empfohlenen Mindestabstand von zwölf Monaten für weitere Auffrischimpfungen zu verkürzen. Für die Auffrischimpfung sollten präferenziell Varianten-adaptierte mRNA-Impfstoffe eingesetzt werden [RKI 2023]. Aktuell (Juli/2023) sind dies die Omikron-adaptierten bivalenten mRNA-Impfstoffe, welche im Vergleich zu den bisherigen monovalenten mRNA-Impfstoffen eine verbesserte Antikörperantwort gegenüber verschiedenen Omikron-Varianten auslösen und gegenüber dem SARS-CoV-2-Wildtypstamm eine gleichbleibend gute Antikörperantwort erzielen. Die STIKO geht davon aus, dass besonders Personen, die während der seit Dezember 2021 laufenden Omikron-Welle noch keine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, von einer Auffrischimpfung mit einem Omikron-adaptierten Impfstoff profitieren, da diese Personen eine weniger breite Immunantwort hinsichtlich varianter Spike-Proteine von Omikron besitzen dürften. Für Personen, bei denen produktspezifische medizinische Kontraindikationen gegen die COVID-19-mRNA-Impfstoffe bestehen oder auch bei individuellem Wunsch nach entsprechender Beratung, kann alternativ eine Auffrischimpfung mit einem monovalenten Protein-Impfstoff erfolgen [RKI 2022a, RKI 2022b].