COVID-19-IMPFUNG BEI PATIENT*INNEN
MIT MULTIPLER SKLEROSE UNTER
MONOKLONALER ANTIKÖRPERTHERAPIE
3 DIE ROLLE DES IMMUNSYSTEMS BEI DER SARS-COV-2-INFEKTION
3.1 ANGEBORENES IMMUNSYSTEM
Das angeborene Immunsystem ist die erste Abwehrlinie des Körpers. Es reagiert unspezifisch auf körperfremde Bestandteile von Pathogenen wie Bakterien oder Viren, wie z. B. SARS-CoV-2. Die Reaktionen des angeborenen Immunsystems erfolgen innerhalb kürzester Zeit nach dem Kontakt mit einem infektiösen Pathogen [Murphy und Weaver 2018]. Immunzellen des angeborenen Immunsystems, einschließlich Makrophagen, Monozyten, dendritischer Zellen, Neutrophilen und natürlichen Killerzellen (NK), exprimieren Mustererkennungsrezeptoren (Pattern Recognition Receptors; PRR), die das Spike-Protein von SARS-CoV-2 anhand von pathogenassoziierten Mustern (Pathogen-Associated Molecular Patterns; PAMP) erkennen. Einige PRR sind Transmembranproteine, wie z. B. die Toll-Like-Rezeptoren (TLR). TLR-7 und TLR-8 werden durch einzelsträngige RNA aktiviert, die für Viren typisch sind. Die Signalübertragung durch diese PRR führt zur Produktion von proinflammatorischen Zytokinen und antiviralen Chemokinen. Diese wiederum stimulieren angeborene Effektormechanismen und lösen eine Kaskade von Reaktionen aus, die zum einen das Ziel haben, infizierte Zellen zu zerstören, und zum anderen dazu beitragen, eine adaptive Immunantwort in Gang zu setzen [Diamond und Kanneganti 2022, Murphy und Weaver 2018].
3.2 ADAPTIVES IMMUNSYSTEM
Während die Reaktionen des angeborenen Immunsystems schnell, jedoch antigenunspezifisch erfolgen, benötigt die adaptive Immunantwort mehrere Tage bis Wochen, um sich zu entwickeln, ist dann jedoch effektiver, da die Antigenerkennung durch die Lymphozyten des adaptiven Immunsystems äußerst spezifisch ist. Darüber hinaus kann das adaptive Immunsystem durch die Bildung von Gedächtniszellen zukünftige Infektionen mit dem gleichen Erreger schneller bekämpfen. Impfungen zielen hauptsächlich auf das adaptive Immunsystem ab. Dieses wird in eine zelluläre Antwort und eine humorale (extrazelluläre) Antikörperantwort unterteilt, wobei diese beiden Reaktionen nicht unabhängig voneinander ablaufen und miteinander interagieren. Abbildung 2 zeigt einen simplifizierten Überblick der beiden Immunantworten, die im Folgenden näher beschrieben werden.
3.2.1 Zelluläre Immunantwort
Wird die Wirtszelle mit einem Virus wie SARS-CoV-2 infiziert, werden in deren Zytosol virale Proteine synthetisiert, um das Virus zu replizieren. Die Wirtszelle wird somit zur Produktionsfabrik der Viren. Peptidfragmente der viralen Proteine werden anschließend in das endoplasmatische Retikulum transportiert, wo sie an Moleküle des Major Histocompatibility Complex (MHC) der Klasse I binden, welche die Peptide zur Zelloberfläche bringen und dort präsentieren. Die Rezeptoren von naiven CD8+-T-Zellen erkennen den Komplex aus Peptid und MHC-Klasse-I-Protein und werden daraufhin aktiviert, sich zu zytotoxischen T-Zellen auszudifferenzieren, welche die infizierten Zellen töten. Die Wirkung beruht insbesondere darauf, dass die Bindung an den Peptid:MHC-I-Komplex eine gezielte Freisetzung zytotoxischer Effektorproteine (Perforine und Granzyme) verursacht. Perforin bildet Poren in der Plasmamembran der infizierten Zelle und über diesen Kanal gelangen Granzyme in deren Zytosol, welche die Apoptose auslösen. Zytotoxische CD8+-T-Zellen setzen zudem auch Zytokine, wie Interferon-γ (IFN-γ) frei, welches die virale Replikation hemmt und zudem dazu führt, dass die Expression von MHC-Klasse-I-Molekülen gesteigert wird. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass infizierte Zellen als Ziele für zytotoxische Angriffe erkannt werden, und verstärkt die Immunantwort [Murphy und Weaver 2018]. Im Gegensatz zur humoralen Immunantwort, bei der freie Viren neutralisiert werden, spielen zytotoxische CD8+-T-Zellen also eine wesentliche Rolle bei der Verteidigung gegen Krankheitserreger, die sich im Zytosol der Wirtszelle befinden. Da bei SARS-CoV-2 kontinuierlich Viren freigesetzt werden, ohne dass die Zelle stirbt (nichtlytisches Virus) [Pizzato et al. 2022], ist die zelluläre Immunantwort besonders relevant, um die virusproduzierende Zelle abzutöten und somit die Virusproduktion zu unterbinden.
Einige aktivierte T-Zellen entwickeln sich zu langlebigen Gedächtniszellen, die zukünftig schneller auf eine erneute Infektion mit dem gleichen Pathogen reagieren können [Murphy und Weaver 2018]. SARS-CoV-2-spezifische Gedächtnis-T-Zellen bleiben nach einer Impfung oder Infektion dauerhaft bestehen und die T-Zell-Antwort scheint trotz der Entstehung neuer Virusvarianten stabil zu sein, denn während die Virusneutralisation durch Antikörper mit der Entstehung neuer Virusvarianten abgenommen hat, waren T-Zell-Epitope weniger von Mutationen betroffen [Wherry und Barouch 2022]. Es ist daher davon auszugehen, dass diese T-Zell-Antworten bei Genesenen bzw. Geimpften einen guten Schutz gegen schwere COVID-19-Verläufe nach einer Infektion mit der Omikron-Variante bieten können.
3.2.2 Humorale (extrazelluläre) Immunantwort
Neben der zellulären Immunantwort spielt die humorale Immunantwort eine wesentliche Rolle bei der Bekämpfung von Viren. Bei dieser Immunreaktion werden die freien Viren durch neutralisierende Antikörper gebunden und eliminiert und die Infektionsausbreitung dadurch gestoppt. Die humorale Immunantwort beginnt mit der Erkennung von fremden Antigenen durch Antigen-präsentierende Zellen (APC), zu denen insbesondere die dendritischen Zellen gehören. Virale Peptide, die z. B. durch die CD8+-T-Zell-vermittelte Lyse der befallenen Wirtszellen freigesetzt wurden, werden von APC aufgenommen und an MHC-Moleküle der Klasse II gebunden. Dieser Peptid:MHC-II-Komplex wird anschließend auf der Oberfläche der APC präsentiert und von peptidspezifischen CD4+-T-Zellen erkannt, welche daraufhin aktiviert werden. CD4+-T-Zellen differenzieren sich zu verschiedenen Subpopulationen von T-Effektorzellen, wie z. B. regulatorischen T-Zellen und T-Helferzellen. Letztere sind auf Interaktionen mit B-Lymphozyten spezialisiert und unterstützen somit die Produktion der hochaffinen Antikörper. Die T-Helferzellen reagieren, indem sie Rezeptoren und Zytokine exprimieren, die wiederum B-Zellen anregen, zu proliferieren und sich zu antikörperproduzierenden Plasma- und B-Gedächtniszellen zu differenzieren. Im Rahmen einer Infektion werden verschiedene Antikörperklassen gegen verschiedene virale Proteine gebildet. Für die Verhinderung einer Infektion mit Viren wie SARS-CoV-2 sind neutralisierende Antikörper der wesentliche Faktor. Diese erkennen das Antigen des Erregers und blockieren dessen Bindung an zelluläre Zielstrukturen, sodass das Virus keine weiteren Zellen infizieren und sich dort vermehren kann [Murphy und Weaver 2018]. Studien zeigen, dass die Level an neutralisierenden Antikörpern in den ersten Monaten nach einer SARS-CoV-2-Infektion häufig abnehmen [Turner et al. 2021], wobei die Antikörper-Antwort individuell unterschiedlich ist [Chia et al. 2021]. Langlebige Plasmazellen hingegen können im Knochenmark überdauern und bei einer erneuten Infektion schnell reaktiviert werden; sie stellen eine dauerhafte und wichtige Quelle für neutralisierende Antikörper dar [Turner et al. 2021]. Darüber hinaus konnten bei rekonvaleszenten Personen zirkulierende B-Gedächtnis-Zellen, die gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2 gerichtet sind, nachgewiesen werden, auch wenn keine neutralisierenden Antikörper mehr messbar sind [Jeffery-Smith et al. 2022, Turner et al. 2021]. Neue SARS-CoV-2-Varianten können allerdings in der Lage sein, der Antikörperantwort von Genesenen und Geimpften zu entkommen. Dies wird als Immune Escape bezeichnet und verschiedene Studien konnten zeigen, dass das Serum von Personen, die nicht geimpft sind und eine Infektion mit SARS-CoV-2 (nicht Omikron) durchlaufen haben, eine niedrige bis nicht mehr nachweisbare neutralisierende Aktivität gegen die Omikron-Variante aufweist [Planas et al. 2022, Rössler et al. 2022].